Verbraucheranspruch: Die neue „Generation Son...
Verbraucheranspruch

Die neue „Generation Sonntagsbraten“

Bao Menglong/Unsplash

Geht es nach den Prognosen des Thinktanks „RethinkX“, wird das Jahr 2030, begründet durch eine Gleichwertigkeit von „New Meat“ in Hinblick auf Geschmack und Preis, den Wendepunkt der Fleischwirtschaft markieren. Ob früher oder später, dieser Einschnitt steht uns unmittelbar bevor und wird sich nicht nur auf pflanzliche Ersatzprodukte oder Cultivated Meat beschränken. Auch der Anspruch an Fleisch wird sich wesentlich verändern. 


Fakt ist, dass der Fleischkonsum deutscher Verbraucher seit 2018 stetig abnimmt und sich seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1989 auf dem niedrigsten Niveau befindet. Einiges spricht dafür, dass sich diese Entwicklung nicht nur fortsetzen, sondern beschleunigen könnte. Laut dem kürzlich veröffentlichten Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erachtet es die große Mehrheit als sinnvoll, weniger Fleisch zu essen, und etwa die Hälfte unserer Bevölkerung bezeichnet sich bereits als Flexitarier. Gleichzeitig sind es eher Jugendlicheund junge Erwachsene, die Fleisch reduzieren oder ganz darauf verzichten, und somit die Altersgruppen, die bisher am meisten davon konsumiert. Es ist die Entstehung einer Generation junger Menschen, die schon bald nur noch einmal pro Woche Fleisch isst – eine neue „Generation Sonntagsbraten“. 

Stammt dieser Begriff aus einer Zeit, in der Fleisch so teuer war, dass Familien es sich nur einmal pro Woche leisten konnten, wird er zukünftig das Symbol eines bewussteren Umgangs mit tierischen Lebensmitteln sein. Die Gründe dieses neuen Lifestyles sind vielfältig. Sie finden ihren Ursprung in höheren Ansprüchen an Tier- und Umweltschutz, aber auch im Streben nach gesellschaftlicher Akzeptanz. Fleisch wird zum „Guilty Pleasure“ – zum Vergnügen, das wir nur rechtfertigen können, wenn es die neuen Rahmenbedingungen erfüllt. Das hat auch einen gehobenen Qualitätsanspruch zur Folge. Erfährt Fleisch gegenwärtig einen nahezu inflationären Einsatz in deutschen Küchen, wird es durch den selbst auferlegten Verzicht zu einem seltenen Luxus. Die Frage, die sich Handel und Erzeuger jetzt stellen müssen, ist, wie der neue Sonntagsbraten aussehen muss, um diesen Ansprüchen Genüge zu tun.

Heute geht es um die Tiere, morgen um den ganzen Planeten

Dem Tierwohl gehörte die Bühne der vergangenen Jahre. Der Lebensmitteleinzelhandel überschlug sich mit entsprechenden Kampagnen und ein Blick in die Pläne der Händler zeigt, dass sich nahezu alle dem Ziel verschrieben haben, bis 2030 nur noch Fleisch aus „akzeptablen“ Haltungsformen anzubieten. Unterschiede? Für den Normalverbraucher kaum zu erkennen. Wird gerade noch vereinzelt an mehr Transparenz in Bezug auf Produktherkunft und Produktionsbedingungen gearbeitet, reicht dies größtenteils nur noch für Pressemeldungen, nicht aber als Aufhänger lautstarker Omnichannel-Kampagnen. Tierwohl ist und bleibt ein Thema, das den Verbrauchern am Herzen liegt, wird aber immer mehr zum Hygienefaktor – notwendig, aber schon bald kein geeignetes Differenzierungsmerkmal mehr. 

Stattdessen rückt, getrieben durch Bewegungen wie Fridays for Future, der Umweltschutz in den Fokus der Verbraucher und damit auch ins Blickfeld des Handels. Bereits heute wünschen sich zwei Drittel der Verbraucher Informationen über die Umweltverträglichkeit eines Produkts – Tendenz steigend! Genannt werden Daten über den Energie- und Wasserverbrauch, Transportwege und die Menge des ausgestoßenen CO2. Doch so groß dieses Informationsbedürfnis auch sein mag, so wenig möchte sich der Mainstream mit diesen komplexen Daten auseinandersetzen. Aus diesem Grund testet der Discounter Lidl bereits im kleinen Maßstab die Einführung eines Eco-Scores, der einschlägige Informationen kompakt und verständlich visualisiert. Das Zwischenfazit: positiv! Laut Christoph Graf, Geschäftsleiter Einkauf von Lidl Deutschland, zeigt der Test, dass eine Nachhaltigkeitskennzeichnung den Kunden Orientierung für einen nachhaltigeren Einkauf verschafft und zu einem bewussteren Konsum beitragen kann. 

Auch unsere französischen Nachbarn haben erkannt, dass es einer Kennzeichnung bedarf, die Orientierung in der komplexen Welt der Nachhaltigkeit bietet. Die Einführung des sogenannten „Planet-Score“ als Umweltkennzeichnung für Lebensmittel könnte mittelfristig sogar verpflichtend werden. Obwohl aufgrund hoher Inflationsraten gegenwärtig der Preis wieder in den Fokus der Verbraucher rückt, gehört die Zukunft der Nachhaltigkeit, die auch in dieser Situation trotz negativer Umsatzentwicklung weiter Marktanteile gewinnt. Die Fleischindustrie wird diesbezüglich und unter der Metapher des „Klimakillers“ weiter im Blickpunkt von Verbrauchern und Medien stehen. 

Wie wird der Sonntagsbraten, also der einmalige Fleischgenuss pro Woche, in der Zukunft aussehen? 

Wir schreiben das Jahr 2030. Auf der Suche nach den notwendigen Zutaten schlendern wir durch die Gänge eines Supermarkts. Zielgerichtet greifen wir nach dem Produkt unserer Wahl. Dank Bio-Siegel, Tierwohllabel und Eco-Score wissen wir, dass dieses Fleisch guten Gewissens verzehrt werden kann. Ein QR-Code auf der Verpackung würde uns weitere Hintergrunddaten zur Verfügung stellen. Doch wir verzichten auf diese Möglichkeit und verlassen uns auf die kompakten Informationen der Labels. An der Kasse angekommen, lässt uns der Preis auf der Anzeige kurz innehalten. Doch wir verwerfen jegliche Bedenken und packen alles in unsere Einkaufstasche. Man gönnt sich ja sonst nichts.

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