Nach Auswertung der Studie „AnGERICHTet“ steht zwar fest, was die Teilnehmer zu essen behaupten. Aber kaufen sie auch entsprechend ihres eigenen Selbstbilds ein? Category- Management- und Shopper-Experience-Expertin Birgit Schröder analysiert Kaufentscheidungen und deren Einfluss auf das Angebot von Fleisch und fleischfreien Alternativen.
Welche Faktoren sind Verbrauchern beim Kauf von Fleisch und Fleischersatzprodukten besonders wichtig?
Birgit Schröder: Bei Fleisch stellen sich Konsumenten zuerst die Frage: Von welchem Tier stammt es? Deutschland ist ein „Schweine-Land“. Es folgen die Kriterien Qualität, Frische, Preis, Regionalität, positive Erfahrung mit dem Produkt, Bioqualität und
Tierwohl. Und in der jetzigen Situation mit Inflation und gestiegenen Preisen schauen die Verbraucher mehr auf den Preis, aber trotzdem noch auf die
Tierhaltungsform. Außerdem stellen sich Konsumenten heute eine ganz neue Frage beim Einkaufen: Kaufe ich Fleisch, Fleischalternativen oder keines von beidem? Vor 2014 gab es keine Fleischersatzprodukte. Da hat man sich nur gefragt: Kaufe ich Fleisch oder kein Fleisch?
Wie verändert das gestiegene Nachhaltigkeitsbewusstsein die Kaufentscheidung? Schröder: Zum einen hat dieses veränderte Verhalten dazu geführt, dass genau diese Vorstufe kommt, die vorher nicht da war: Kaufen wir Fleisch oder Alternativen? Und was Fleisch und Wurst angeht, ist eben das Kriterium, „Bio oder nicht Bio“ dazugekommen. Für manche ist Bio nun Standard. Wenn die Leute sich Bio weiter leisten können, dann werden sie auch weiterhin nachhaltig einkaufen. Denn niemand kommt mehr am Thema
Nachhaltigkeit vorbei. Wir werden darauf täglich hingewiesen, und es wird damit geworben. Dazu könnte auch der soziale Druck steigen. Irgendwann wirst du an der Kasse vielleicht komisch angeguckt, wenn du Fleisch der Haltungsform 1 kaufst. Das wachsende Nachhaltigkeitsbewusstsein spiegelt sich bereits im Angebot: Wenn wir uns die Wurst-Kategorie anschauen, ist es schon enorm, wie hoch der Bio-Anteil gestiegen ist. Aber auch auf Regionalität legen Konsumenten Wert. Dieses Kriterium sticht bei der Kaufentscheidung teilweise die Bioqualität. Aber das ist ganz klar auch eine monetäre Frage. Nicht jeder hat das Einkommen, um nachhaltig einzukaufen.
Welche Unterschiede lassen sich dabei in den verschiedenen Altersgruppen erkennen? Schröder: Man kann sagen, die Jüngeren haben ursprünglich mehr Fleisch gegessen als die älteren Zielgruppen. Aber in der Entwicklung der letzten drei Jahre ist die jüngste Zielgruppe die, die jetzt am wenigsten Fleisch konsumiert — jedoch nur knapp unter den anderen. Das hätte ich so nicht erwartet. Und dann werden wir noch mal Unterschiede in den Einkommensklassen sehen, denn Produkte aus höheren Haltungsformen sind einfach teurer.
Wie wirkt sich die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation auf das Kaufverhalten aus? Schröder: Die aktuelle Situation ist ja durchaus herausfordernd. Inflation, ganz viele Unsicherheiten, noch immer durch Corona verursacht, dann der Ukraine-Krieg. Die Unsicherheiten spüren alle, auch die jungen Leute. Bisher haben wir immer beobachtet, dass die junge Zielgruppe die sprunghafteste ist und am stärksten reagiert. Bemerkenswerterweise sehen wir jetzt, dass sich die Jüngeren sowohl beim Thema Bio als auch beim Thema der nachhaltigen Produkte kaum bewegen beziehungsweise sogar daran festhalten. Sie gehen vielleicht ins Downtrading, kaufen jetzt also günstigere Marken, beispielsweise Handelsmarken, oder verzichten zugunsten ihrer Überzeugung an anderer Stelle. Diejenigen, die aktuell aufgrund der Wirtschaftslage doch kein Bio mehr kaufen, sind eher die Älteren, aber dies betrifft auch in dieser Zielgruppe nur einen kleinen Anteil.
Wo werden in Zukunft Fleisch und Fleischalternativen eingekauft? Schröder: Der Fleischmarkt entwickelt sich immer konform zu Waren, die sich besonders gut verkaufen und über einen dementsprechend hohen Umschlag verfügen oder zum Food-Markt. Aktuell sehen wir, dass Discounter wachsen und Supermärkte verlieren. Interessant ist die Veränderung des Kaufverhaltens am Point of Sale – genauer gesagt, an Bedien- und SB-Theke. 1990 wurden 61 Prozent der Fleischwaren und Wurst lose verkauft, also an der Bedientheke. 2017 bis 2019 war dieser Anteil auf 25 Prozent gesunken. 1990 wurde zudem nur 30,4 Prozent vorverpacktes Fleisch verkauft, jetzt liegen wir bei 70 Prozent.
Viele Supermärkte haben für Fleischersatzprodukte inzwischen einen eigenen Bereich im Kühlregal eingerichtet. Wie wird sich die erhöhte Nachfrage perspektivisch auf die Auswahl an Fleisch und Fleischalternativen auswirken? Schröder: Der alternative Fleischmarkt erreicht eine große Zielgruppe von Vegetariern, Veganern sowie Flexitariern und wird weiter wachsen. Gleichzeitig sehen wir, dass die Wurst- und Fleischumsätze seit circa 2014 rückläufig sind. Damit entsteht Platz im Kühlregal – hier könnte es zu einer Verschiebung kommen. Auch das Sortiment, also die Auswahl an Fleischalternativen, wird sich vergrößern. Aber ob sie noch mehr Platz im Regal erhalten, bleibt abzuwarten. Aktuell gibt es im Markt ein paar große Player wie zum Beispiel die Rügenwalder Mühle und einige Start-ups. Ich gehe davon aus, dass der Eigenmarkenanteil im Bereich Fleischalternativen zeitnah signifikant wachsen wird. Und auch einige Fleisch- und Wursthersteller, die jetzt rückläufige Umsätze verzeichnen, werden versuchen, damit einen Ausgleich zu schaffen.
Wird es in Zukunft noch Fleisch der Haltungsstufen 1 oder 2 geben? Schröder: Es kann sein, dass irgendwann die Zielgruppe, die heute noch Wurst und Fleisch einkauft, es nur noch isst, wenn sie genau weiß, wo das Tier herkommt und wie es gehalten wurde. Das heißt, Transparenz wird ein riesiges Thema sein, wie in allen anderen Frischekategorien auch, zum Beispiel bei Milch. Die Discounter und Vollsortimenter reagieren: Aldi zum Beispiel will bis 2030 nur noch Frischeprodukte aus den Haltungsstufen 3 und 4 verkaufen. Rewe Group und Lidl möchten im gleichen Zeitraum das Frischfleisch nicht mehr aus
Haltungsstufe 1 beziehen. Kaufland bietet jetzt schon kein frisches Schweinefleisch oder Geflügelfleisch der Haltungsform 1 mehr an. Diese Regelungen gelten aber nicht für Fertig- und Tiefkühlprodukte. Hierfür kann weiterhin Fleisch der Haltungsstufen 1 oder 2 verarbeitet werden. Die Veränderung ist ein Indiz dafür, dass langfristig diese Haltungsformen ganz verschwinden könnten. Aber das wird Zeit brauchen. Aktuell kann das die Landwirtschaft nicht leisten.
„AnGERICHTet – ein Stimmungsbericht von Deutschlands Esstischen“ ist eine Studie von Rügenwalder Mühle in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut
YouGov.