FRANKFURT Neben dem Traditionsmodell „Vom Vater auf den Sohn“ warten im Fleischerhandwerk viele verschiedene Möglichkeiten, um ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Drei Einschätzungen zur Existenzgründung vorab:
- Übernehmer von Fleischer-Fachgeschäften sind gefragte Leute.
- Existenzgründungen sind so leicht wie nie zuvor. Oft sind Übernahmen auch ohne viel Eigenkapital möglich.
- Die Vielfalt der Chancen nimmt zu – Franchise-Modelle oder Übernahmen durch Mitarbeitende sind nur zwei Varianten.
Wer Lust auf ein eigenes Geschäft verspürt, hat viele kompetente und kostenlose Beratungsmöglichkeiten – etwa Handwerkskammern, Innungen oder Fachschulen. Die afz - allgemeine fleischer zeitung beschreibt zwei Geschichten von Existenzgründern. Die übereinstimmende Motivation für den Schritt in die berufliche Selbstständigkeit heißt Freiheit.
Die eigene Filiale übernommen
Jessica Drohten wusste bei ihrem Schritt in die Selbstständigkeit genau, was sie erwartete. Als Filialleiterin der Schlachterei Siegel kannte sie den Standort Neuwied-Oberbieber seit 13 Jahren. Dieses Fleischer-Fachgeschäft hatte von allen Siegel-Filialen die größte Verkaufsfläche und war am stärksten städtisch geprägt. Immer wieder mal wurde Jessica Drohten die Filiale angeboten. Als sie für einige Zeit im Hauptgeschäft der Landschlachterei arbeitete, erkannte sie: „Ich muss meine eigene Chefin sein.“ Ihr Wunsch nach Freiheit war größer als der nach Sicherheit.
Die Übernahme gestaltete sich einfach. Die Verhandlungen mit dem früheren Chef bewertet die Existenzgründerin in der Rückbetrachtung als „fair und auf Augenhöhe“. Zu regeln war neben der Übernahme von bestehenden Arbeits- und Mietverträgen auch die Ablösesumme für das Inventar. Und schließlich ging es um die Lieferpreise, zu denen die frühere Filiale jetzt zum Kunden der Landschlachterei Siegel wurde. Es war ein Deal, der allen Beteiligten Vorteile brachte: Jessica Drohten erhielt ein schlüsselfertiges eigenes Fleischer-Fachgeschäft, die Landschlachterei Siegel einen neuen Kunden.
Jessica Drohten ist eine verbindliche Frau mit konkreten Vorstellungen. Ihr eigenes Geschäft sollte ihren Mitarbeiterinnen genau so viel Freude machen wie ihr selbst. Als Chefin von sieben Frauen reflektiert sie: „Meine Mitarbeiterinnen brauchen einen Feierabend und ihre freien Tage. Auf alle wartet nach der Arbeit noch ein Privat- und Familienleben.“
Ein Jahr nach der Geschäftsübernahme am 4. Januar 2022 heißt die frühere Siegel-Filiale „Westerwälder Landspezialitäten“. Die Inhaberin Jessica Drohten bilanziert: „Ich bin mit dem Umsatzzuwachs sehr zufrieden. Auch die verkauften Mengen sind gestiegen. Vor der Theke kommen immer wieder neue und junge Kunden dazu.“ Ihr Fazit: „Es ist ein beruhigendes Gefühl, wenn im eigenen Geschäft alles funktioniert.“
Alle profitieren
Metzgermeister Ralf Siegel – Inhaber der gleichnamigen Landschlachterei – bestätigt, dass die Übernahme durch die frühere Filialleiterin ein Gewinner-Gewinner-Spiel war: „Wir haben jetzt weniger Stress mit den Angestellten und keine Retouren mehr. Im Gegenzug haben wir einen treuen Kunden erhalten.“ Dieser wird gepflegt: Ralf Siegel kontrolliert etwa täglich, dass das Fleisch aus der eigenen handwerklichen Schlachtung in perfekt verkaufsfertigem Zuschnitt nach Oberbieber geliefert wird.
Die Bedingungen zur Übernahme der Filiale waren geprägt von „Leben und leben lassen“: Die Einkaufspreise orientieren sich an der Marke von 55 Prozent der Verkaufspreise. Viele Kleingeräte wurden der Existenzgründerin kostenlos überlassen. Der Ex-Chef und jetzige Lieferant Ralf Siegel erklärt: „Ich habe ein starkes Interesse, dass das Geschäft von Frau Drohten dauerhaft gut läuft.“
Dabei erkennt er, dass der eigene wirtschaftliche Vorteil ein starker Treiber ist: „Als Oberbieber noch Filiale war, wurde bei den Bestellungen auch manchmal etwas vergessen. Wir mussten dann ein zweites Mal liefern. Genauso bei der Veredelung: Frau Drohten kauft jetzt bei uns zu günstigen Preisen rohes Fleischkäsebrät und verarbeitet es zu vielen hochwertigen Imbissen.“
Was der frühere Chef aus diesem Miteinander für die Führung seiner Filialen gelernt hat: „Frau Drohten hat mir bewiesen, dass es möglich ist, eine Fleischerei-Filiale mit null nicht verwerteten Abschnitten zu führen.“
Familie, Haus, Existenz
Der 36-jährige
Patrick Holzapfel eröffnete am 1. Juni 2019 ein neu gebautes Fleischer-Fachgeschäft in Mössingen. Vorher sammelte er bei der Albmetzgerei Steinhart und der Albmetzgerei Failenschmid Erfahrungen. Seine früheren Arbeitgeber lobt er noch heute als „die besten Metzger auf der Schwäbischen Alb“. Und doch räumt er ein: „Meine Frau und ich konnten uns als Angestellte fachlich nicht voll ausleben.“
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Unternehmensgründung
Auf der Walz und auf Facebook
Er ist einer der neuen jungen Helden des Metzgerhandwerks: Patrick Holzapfel aus Mössingen. In seinem ersten eigenen Geschäft ist vieles anders. mehr ››
Wie im Beispiel von Jessica Drohten setzt auch die Familie Holzapfel darauf, ein Fleischer-Fachgeschäft ohne vollständige eigene Produktion zu betreiben. Deshalb ist Steinhart der Hauptlieferant von „Der Holzapfel“, wie seine Metzgerei heißt. Holzapfel, jetzt Kunde seines früheren Arbeitgebers, bewertet: „Diese Zusammenarbeit klappt vom ersten Tag an.“
So traditionell die berufliche Karriere des Metzgermeisters ablief, so ist auch sein Lebensweg: Er heiratete Chantal Holzapfel, die heute seine Partnerin im Leben und im Geschäft ist. Dann wurden zwei Kinder geboren und ein Einfamilienhaus gebaut. Danach war zwar das Eigenkapital aufgebraucht, aber die Sparkasse war vom Business-Plan überzeugt, erkannte eine gute Bonität an und gewährte günstige Zinsen. So konnte der Geschäftsneubau in der Ortsmitte von Mössingen realisiert werden.
Hat er alles richtig gemacht? Patrick Holzapfel reflektiert zusammen mit seiner Ehefrau die Jahre seit der Existenzgründung: „Wir steigern von Jahr zu Jahr unseren Umsatz und die Kundenzahl. Wir werden in allen Bereichen immer besser und entwickeln uns ständig weiter. Es gibt nichts, was wir bereuen.“
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