Bon-Ausgabepflicht Kleine Zettel, große Debatte

Ein Bild geht viral, wie es neudeutsch heißt: Bäckermeister Michael Tenk hatte Ende November bei Facebook ein Bild seines Ladens in Münster gepostet, auf dessen Boden vor der Auslage ein Haufen Quittungen liegen – und zwar alle Kassenzettel, die in nicht mal zwei Geschäftstagen weggeworfen wurden.
"Guten Morgen Politiker des Landes & des Bundes, gestern und heute Morgen liefen unsere Bondrucker, das hier wurde liegen gelassen. Sondermüll. Eigentlich wollte ich morgen die Aktion fortsetzen, aber ich möchte meinen Kindern eine nicht noch schlechtere Erde hinterlassen", postete er dazu.
Mit der Aktion will Tenk auf die Folgen der neuen gesetzlichen Vorschriften hinweisen, denn ab 1. Januar 2020 müssen alle, die mit Bargeld hantieren, an jeden Kunden einen Kassenbon aushändigen, entweder klassisch auf Papier oder elektronisch "in einem standardisierten Datenformat", wie es in § 6 der Kassensicherungsverordnung (KassenSichV) heißt.
Das Posting wurde schnell im Internet verbreitet und von zahlreichen Medien aufgegriffen. Einhelliges Urteil: Die neuen Regeln sind wahlweise "Schwachsinn", "Bürokratiewahnsinn" oder "hirnrissig".
Denn ab 1. Januar 2020 muss jedes Unternehmen, das Bargeld einnimmt, eine "Technische Sicherungseinrichtung" (TSE) an jedem Gerät installieren, die jede Transaktion protokolliert, elektronisch signiert und über eine Schnittstelle an die Finanzbehörden überträgt. Kassen, die nicht nachgerüstet werden können, müssen spätestens bis zum 31. Dezember 2022 ersetzt werden. Die Umsetzung wird für Fleischer wie auch beispielsweise Händler und Gastronomen zum Problem: Selbst wenn sie wollten, gibt es bislang kaum zertifizierte Sicherungseinrichtungen, weil auch kurz vor dem offiziellen Start kaum rechtskonforme Lösungen auf dem Markt sind. Angesichts dieser undurchsichtigen Lage hatte das Bundesfinanzministerium eine Übergangszeit bis zum 30. September 2020 eingeräumt, damit Unternehmer ihre Kassen aufrüsten können.
Doch zurück zur Bon-Pflicht, die auch Metzger dazu verpflichtet, ihren Kunden im Laden, immer einen Beleg mitzugeben – was Fleischer im Unterschied zum Bäcker schon lange praktizieren. Wer Verkaufsstände auf Wochenmärkten oder Volksfesten betreibt, kann sich übrigens bei dem zuständigen Finanzamt von der lästigen Belegausgabepflicht befreien lassen.
Nun meldet sich auch die FDP zu Wort
"Die Regelung zur Bon-Pflicht zeigt die Realitätsferne der Großen Koalition", meldet sich nun auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Christian Dürr, zu Wort. "Auf die Fälschungsgefahr bei digitalen Aufzeichnungen reagiert sie mit analogen Dokumentationspflichten. In einer Zeit, in der wir über mehr Umweltschutz und Nullwachstum diskutieren, belastet die Große Koalition Betriebe mit Bürokratie und Papierwust. Wir Freien Demokraten schlagen deswegen vor, diese Betriebe von der Belegpflicht zu befreien, wenn sie bestimmte Sicherheitsvorkehrungen treffen. Wir wollen den hart arbeitenden Menschen in den Bäckereien und anderen Handwerksbetrieben Vertrauen statt Misstrauen entgegenbringen. Nur das kann die Antwort auf eine drohende Rezession sein."
Milliardenschäden durch Steuerbetrug
Die neuen Vorschriften kommen nicht von ungefähr. Steuerfahnder haben in den vergangenen Jahren immer wieder Betrüger ertappt, die sich Schwachstellen in den bisherigen Vorschriften und Kassensystemen zu Nutze machten und Umsätze am Fiskus vorbeigeschleust haben.So wurden beispielsweise Ende November zwei Angeklagte vom Landgericht Osnabrück zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie jahrelang manipulierbare Kassensysteme in Umlauf gebracht hatten (Az 2 KLs 2/19). Demnach korrigierten Gastronomie-Betreiber ihre Einnahmen mit manipulierten Kassen nach unten, indem sie einen bestimmten Code eingaben oder einen entsprechenden USB-Stick anschlossen. Nachgewiesen wurden in diesem einen Verfahren Steuerhinterziehungen in Höhe von rund sechs Millionen Euro zwischen 2012 und 2018. Insgesamt gehörten laut Gericht 1.200 Restaurants in Deutschland und 2.600 in Europa zu den Kunden der verurteilten Brüder.
Sechs Millionen Euro hört sich erst mal nicht so viel an, zumal bei tausenden betrügerischen Gastronomiebetrieben. Aber die Summe beziffert auch nur die in diesem einen Fall tatsächlich nachgewiesenen Steuerbetrügereien. Die Richter stellten eine Überschlagsrechnung auf einen Steuerschaden der Kunden der verurteilten Brüder von insgesamt rund einer Milliarde Euro. Der Bundesrechnungshof geht unterdessen von einem jährlichen Gesamtschaden durch Kassenmanipulationen von bis zu zehn Milliarden Euro in Deutschland aus.
Zweigleisiges Verfahren
Da derlei Kassen-Tricksereien im Nachhinein kaum nachzuweisen sind, basieren die neuen gesetzlichen Regelungen auf zwei Verfahren: Zum einen wurde die Sicherung der Kassen selbst überarbeitet. Zum anderen soll mit der neuen Bon-Pflicht ein ständiges Kontroll-Medium eingerichtet werden.Technisch interessant an dem Verfahren: Die Buchungen werden nicht mehr selbst abgespeichert, sondern mit jeder Signatur wird die Integrität der vorhergehenden Buchungen abgesichert. Das Prinzip erinnert an die Blockchain-Technologie, denn wenn eine Buchung verändert wird, müssen alle Signaturen neu berechnet werden. Haben die Steuerfahnder jedoch zur Kontrolle noch einen Bon mit den entsprechenden Signaturdaten vorliegen, entdecken sie die unzulässige Änderung einfacher.
Deutschland zieht mit der Bon-Pflicht ab 2020 gleichauf mit anderen europäischen Ländern, wo die Quittungen jedem Kunden angeboten werden. Mitnehmen muss ein Kunde die Quittung (anders als beispielsweise in Italien) übrigens nicht, stellt das Bundesfinanzministerium klar. Und die Kassenzettel müssen auch nicht zwangsläufig auf Papier ausgedruckt werden, sondern der Verkäufer kann dem Kunden den Zahlungsbeleg auch per E-Mail oder NFC auf das Smartphone schicken.